„Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.“ Finte oder Fakt?

dapr-Dozent Oliver Jorzik

Wir haben Oliver Jorzik, Dozent der dapr-Grundausbildung, mit fünf Vorbehalten gegegnüber der PR konfrontiert. Und ihn gebeten, diese in unserer Reihe „Finte oder Fakt?“ für uns einzuordnen. Oliver Jorzik ist selbständiger PR-Berater, Dozent und Autor zahlreicher Fachpublikationen. In unserer Grundausbildung zum/zur Kommunikationsberater/in bzw. -referent/in vermittelt er die Grundlagen der strategischen Kommunikation.

1. Klassische PR ist nicht mehr zeitgemäß.

Da müssten wir erstmal schauen, was klassische PR eigentlich sein soll. In vielen Organisationen ist klassische PR immer noch sehr stark mit Presse- und Medienarbeit verbunden. Solange es von Seiten der Journalisten eine Nachfrage nach unseren Medienprodukten gibt, sollte man die klassische PR nicht abschreiben. Es gibt im Berufsfeld viele hervorragende Presseverantwortliche, die einen seriösen Job machen und von den Journalisten anerkannt sind. In der Pressearbeit zählt im Zeitalter von Fake-News mehr denn je Qualität. Diejenigen PR-Leute, die sich hier an klassischen Werten orientieren, können sich meiner Ansicht nach langfristig im Berufsfeld halten. Auch wenn die Zeit notorisch immer knapp ist, empfehle ich doch einen gelegentlichen Blick in unsere Berufskodizes. Daher würde ich zu Finte neigen. Wenn wir den Bogen etwas weiterspannen und das gesamte Stakeholder-Geflecht in die Kommunikation einbeziehen, könnte man schon mal kritisch fragen, ob die PR noch die Instrumente hat, um mit einem klassischen Selbstverständnis die Zielgruppen von morgen zu erreichen. Wir sehen aktuell, dass die Verführung durch Social Media groß ist, schnelle Inhalte zu verbreiten, die einer kritischen Überprüfung nicht immer standhalten. Hier müssen wir als verantwortungsvolle PR-Leute unsere Sensorik für gute Informationen behalten, um nicht unser eigenes Fundament zu untergraben. Ich glaube, hier müssen wir künftig genau hinschauen, um auf allen Feldern der Kommunikation die notwendige Qualität zu behalten. Denn nur mit Qualität erhalten wir das fragile Gut Glaubwürdigkeit.

2. PR verbreitet gerne mal substanzlose Botschaften für Unternehmen, solange die dafür bezahlen.

Ein schönes Klischee, das ich auch erst einmal im Bereich der Finte einordnen würde. Klar gilt oft, „wes Brot ich ess, des Lied ich sing“: PR ist schließlich Auftragskommunikation. Aber das Publikum inklusive der Medien ist doch mittlerweile hinreichend geschult, um hohles PR-Blabla zu erkennen. Da bin ich ein hoffnungsloser Optimist. Wer die Verbreitung von hohlem Geschwätz zur Strategie erhebt, ist nicht gut beraten, denn letztlich zahlt die eigene Organisation mit ihrem guten Ruf dafür. Im Bereich Entertainment mag das Verbreiten von Geschwätz gelegentlich Sinn machen. Das Dschungelcamp ist für RTL gut, weil es Quote und Klicks bringt. Doch so ein Schwatzansatz macht für die meisten Marktakteure unternehmerisch und kommunikativ keinen Sinn. Aber ich will das auch nicht schönreden. Wenn man sich bei Pressebox durch die aktuellen Pressemitteilungen durchwühlt, findet man einige Werke, die schon am Rande substanzloser Botschaften sind. Häufig sind diese betroffenen PMs vom Thema her durchaus interessant, aber sprachlich schlecht aufgesetzt oder der Aufbau stimmt nicht. Und leider sind sie manchmal auch einfach weichgespült, weil zig Abteilungen inklusive der Rechtsabteilung alle Ecken und Kanten abgeschliffen haben. Die Pressemitteilung ist dann zwar fertig zur Veröffentlichung, aber komplett langweilig und blutarm. Für die Journalisten ist so ein Werk leider häufig völlig uninteressant. Schade um die Zeit und Energie, die investiert wurden. Aber ich denke, das ist die Minderheit und bleibe bei Finte.

3. Die PR ist der natürliche Feind der Journalisten.

Ganz klar Finte. Natürlich hat nicht jede Organisation ein gutes Medienimage, und es gibt tatsächlich PR-Leute, die stolz darauf sind, komplett unter dem Radar der Medien durchzufliegen. Frei nach dem Motto: „Je weniger Medienresonanz, desto besser, denn über uns wird sowieso nur negativ berichtet.“ Aber das ist doch eher die Seltenheit. Natürlich gibt es kritische Situationen, in denen man gerne in den Abschottungsmodus geht und die Journalisten vom Unternehmen fernhalten will. Aber als gesellschaftlicher Akteur – und das sind Unternehmen ja – kann man sich so eine elitäre Haltung nicht ewig erlauben und muss irgendwann wieder auf die Medien und die Öffentlichkeit zugehen. Also Feind ist ein sehr harter Begriff, und bei so einem Kriegssprech halte ich gerne mal die Luft an, um das Ganze aus einer anderen Perspektive anzuschauen. Und da würde ich eher sagen: Gerade wenn es etwas unfreundlich zwischen einem Unternehmen und den Medien zugeht, müssen wir PR-Leute die Brücke offenhalten und doch ein Mindestmaß an Souveränität und Weitsicht behalten.

4. PR ist eigentlich nur etwas für große Unternehmen oder Konzerne, die wirklich interessante Geschichten zu erzählen haben.

Große Unternehmen und interessante Geschichten? Ich glaube, dass ist eher die Seltenheit, es sei denn das Unternehmen hat einen medial sexy CEO oder wirklich tolle Innovationen. Wir in Deutschland werden da doch eher mit Rohkost verwöhnt. Vielmehr habe ich den Eindruck, dass interessante Stories hierzulande eher mit Skandalen und Skandälchen verbunden sind. Aber ich glaube, das ist mit der Frage nicht gemeint. Interessante Geschichten entstehen häufig vom Rande her, wenn ein Thema noch unentdeckt und unverbraucht ist. Ein spannendes Start-up bringt da häufig mehr Potential mit als ein etabliertes Unternehmen, das gerade seinen 47. Geschäftsbericht veröffentlicht. Oder nehmen wir mal die Tourismus-PR. Eine Region wie etwa Georgien, die touristisch noch nicht so ausgelatscht ist, hat doch rein erzähltechnisch viel mehr zu bieten als der hundertste Bericht über die 10 Top-Highlights in Paris oder Barcelona. Und rein storytellingmäßig ist die Geschichte von David weitaus spektakulärer als die Geschichte Goliaths. Eine der interessantesten Markengeschichten des vergangenen Jahrzehnts war die von Bionade. Die Geschichte eines echten erfolgreichen Underdogs, der gegen die großen Softdrink-Produzenten antritt. Die Story hat viele Jahre super getragen, sie war aber in dem Moment auserzählt, als die Marke von Oetker/Radeberger übernommen wurde. PR-mäßig sehr tragisch, weil es einfach eine schöne Geschichte war. Also klare Finte. Kleine Firmen sind interessanter. Es sei denn, man steht auf Tragödien, da sind große Firmen besser. Aber die wollen wir als PR-Leute ja verhindern.

5. In der PR sind vor allem Charaktere, Typen entscheidend. Erst dann kommen die Fähigkeiten hinzu.

Wie heißt es bei Heinrich Heine: „Kein Talent, aber ein Charakter.“ Talentfreie Zonen gibt es in der PR genauso wie in anderen Berufsfeldern, da haben wir glücklicherweise kein Copyright. Und genauso häufig gilt: Die Persönlichkeit – auch bei PR-Schaffenden – kann das Fehlen von Fähigkeiten etwas absorbieren, aber nicht dauerhaft ersetzen. Wir haben heute einen hohen Ausbildungsstand in der ganzen Kommunikation, und wer hier als Blender auftritt, trifft schnell auf ein Gegenüber, das mit Talent und Fähigkeiten besser zu bestechen vermag. Ein überzeugender Auftritt ist nicht verkehrt, denn wir müssen unsere Ideen intern und extern auch verkaufen. Aber wir brauchen ein Gut, das auch verkaufswürdig ist. Auf einen guten Lösungsweg, ein ideenreiches Konzept, eine tragfähige Strategie, auf Qualität in der Umsetzung, darauf kommt es am Ende an. Ansonsten wird die Luft schnell dünn. Vielleicht ändert sich das role model im Zeitalter eines zunehmenden Populismus. Aber ich setze darauf, dass die Resilienz gegenüber diesen (männlichen) Typen und Charakteren doch relativ gut ausgeprägt ist. PR wird zunehmend weiblich, und da wirken solche Heroismen eher altbacken. Also ich entscheide mich auch hier für Finte.

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