Ein Rückblick: Krisenkommunikation im Jahr 2015

Zwei Kommunikationsbeispiele mit Focus auf die elektronische Kommunikation

Kein Unternehmen möchte gerne Krisenkommunikation betreiben. Bedeutet doch das Eintreten einer Krise das Verlassen der geplanten Unternehmensstrategie und Ziele sowie die Notwendigkeit einer schnellen, weitsichtigen Reaktion. Obwohl jedes Unternehmen in eine Krise geraten kann, wird dieses Thema von Management oder Geschäftsleitung gerne zur Seite gerückt. „Groupthink“-Phänomen wird es genannt, eine Art ‚Was-soll-uns-schon-passieren-Denken‘.

Dabei gibt es viele Möglichkeiten, bereits im Vorfeld ein ordentliches Krisenmanagement aufzubauen. Gerichtet nach Unternehmensgröße, Branche und Steakholdern können diverse Szenarien im Vorfeld durchgespielt und Maßnahmen vorbereitet werden. Unternehmen, deren Kunden ’normale‘ Verbraucher sind, haben durch die Vielzahl der meist heterogenen Kontakte und Interessen dabei die meist schwierigere Aufgabe . Aber egal ob B to B oder B to C Unternehmen, die Phasen der Krise laufen in der Regel immer gleich ab (Quelle: Krisennavigator, Kiel):

  • Potenzielle Krisenphase = Krisenvermeidung
  • Latente Krisenphase = Krisenerkennung
  • Akute Krisenphase = Krisenbewältigung
  • Nach-Krisenphase = Krisennachbearbeitung

Bei allen vier Phasen gibt es einen entscheidenden Faktor: die Zeit.

Im zurückliegenden Jahr 2015 gab es zwei große Krisen bei zwei bekannten deutschen Unternehmen, die jeweils unterschiedlich kommunikativ begleitet wurden. Germanwings/Lufthansa durch den Absturz des Flugzeuges am 24.03.2015 und die Volkswagen-Abgasaffäre.

Der Flugzeugabsturz bei Germanwings

Die Kommunikation der Airline funktionierte (für den außenstehenden Fach-Beobachter) perfekt. Nach Bekanntwerden des Absturzes von Flug 4U9525 gegen 11.00 Uhr wurde auf der Germanwings-Webseite eine sogenannte „Dark Site“ veröffentlicht. Hier wurden die ersten Informationen und Telefonnummern bekannt gegeben. Rund eine Stunde später wurde eine Pressekonferenz in Köln für 13.30 Uhr von Germanwings und Lufthansa anberaumt. Auf dieser PK traten die beiden Vorstandsvorsitzenden Carsten Spohr und Thomas Winkelmann auf. Live erklärten sie den aktuellen Wissensstand und gaben Auskunft über Flugzeug und Mannschaft.

Lufthansa-Chef Carsten Spohr. Quelle: ZDF; YouTube

Lufthansa-Chef Carsten Spohr. Quelle: ZDF; YouTube

Die Platzierung vor einem farblich neutralen Hintergrund und das Auftreten der Akteure in dunklem Anzug und Krawatte vermittelte dem Zuschauer den Eindruck einer offenen und angemessenen Kommunikation. Germanwings/Lufthansa nutzte auch die sozialen Netzwerke für die Kommunikation. Ein Germanwings-Tweet um 13:28 Uhr (also kurz vor der Pressekonferenz) informierte über den Absturz der Maschine [Anm.: der Kanal heißt heute @eurowings].

Quelle: Focus Online/Germanwings

Quelle: Focus Online/Germanwings

Durch die offene und unmittelbare Kommunikation des Unternehmens sowie die Präsenz der beiden Vorstandsvorsitzenden hat Germanwings/Lufthansa die Kommunikationshoheit in dieser schwierigen Phase sofort gewonnen. Natürlich gibt es bei solchen Tragödien immer ‚Experten‘, die ihr Statement dazu abgeben, mögen diese noch so ins Kraut schießen. Trotzdem gelang es den beiden Unternehmen, die Medien so zu bedienen, dass der Zuschauer immer das Gefühl hatte, gut informiert zu sein. Selbst bei den oft so überkritischen Medien wurde die Kommunikation gelobt. Und das – obwohl viele Sendeminuten gefüllt werden mussten – mit einer erstaunlichen Sachlichkeit.

Germanwings bediente auch die interne Kommunikation. Die zweite Pressekonferenz am 26.03.15 aus Köln wurde live ins Intranet übertragen. Übrigens mit Unterstützung des Nachrichtensenders N24, der seine Liveübertragung vor Ort dem Unternehmen kostenfrei zur Verfügung stellte. Allein dies zeigt, wie gut die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Medien damals war. Den Mitarbeitern wurde auch kein ‚Maulkorb‘ verhängt, sondern man ließ Interviews zu. Zu vermuten steht, dass intern eine Sprachregelung vereinbart wurde. Trotzdem waren diese TV-Interviews authentisch und – das Wichtigste in solch einer Situation überhaupt – glaubwürdig. „Alles, was sich vorbereiten lässt, sollte vorbereitet sein“, zitiert die TAZ einen Kommunikator von Lufthansa, angesprochen auf die reibungslose und offene Kommunikation.

Der Absturz des Flugzeuges ist ein – trauriges – Beispiel für gute Krisenkommunikation, von dem viele Kommunikatoren lernen können. Was sich in dem Fall auch auf die wirtschaftliche Seite positiv ausgewirkt hat: die Fluggastzahlen gingen nicht wesentlich zurück, was bei einem Flugzeugabsturz eigentlich normal ist.

‚Dieselgate‘ – Die VW-Abgasaffäre

Ein ganz anderes Bild dagegen zeigte sich bei Volkswagen im September 2015. Hier schien man vollkommen unvorbereitet auf eine hereinbrechende Krise zu reagieren. Was im Nachhinein etwas unverständlich ist, da der ‚Fund‘ der manipulierten Software dem Konzern zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht neu war, wurde doch bereits am 03.09.2015 gegenüber der US Behörde EPA die Manipulation zugegeben. Hat hier das Issues-Management komplett versagt oder ist man dem oben genannte Groupthink-Phänomen unterlegen? Am 19.09.2015 werden die Vorwürfe öffentlich. In den USA und in Deutschland greifen die Medien das Thema sofort und mit viel Sendezeit auf. Es platzt mitten in die IAA, die wichtigste Automesse der Branche. Anders als Lufthansa/Germanwings wurde nach außen, bis auf eine Pressemitteilung, nicht kommuniziert.

Auch wählte VW nicht der Weg des offenen Dialogs. Am 22.09.2015 wurde ein Videostatement des Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn auf der Volkswagenmedienseite veröffentlicht und zum Herunterladen angeboten.

Ex-VW-Chef Martin Winterkorn.

Ex-VW-Chef Martin Winterkorn.

Eine Begleitung dieser Kommunikationsmaßnahme über die eigenen sozialen Netzwerke war bis dahin ausgeblieben. Ebenfalls am 22.09. wurde das Video mit englischem Voice over über den eigenen Twitterkanal veröffentlicht. Dies war der erste Tweet zu einem Thema, das zu dem Zeitpunkt bereits drei Tage die Medien- und Autowelt intensiv beschäftigte.

Quelle: Twitter,  @volkswagen

Quelle: Twitter, @volkswagen

Der nächste Tweet folgte am 25.09.2015, mit dem Inhalt, dass der Nachfolger des in der Zwischenzeit zurückgetretenen VW-Chefs Winterkorn gefunden worden sei: in dem bis dato Porsche-CEO Matthias Müller.

Volkswagen hatte offenbar die Strategie „Schweigen“ gewählt, statt „Gegeninformationen“ oder „Dialog“. Damit verlor Volkswagen in den ersten Wochen die Kommunikationshoheit über die Affäre. Anstelle des Vorstands übernahmen der Betriebsrat, der bei Volkswagen eine wesentliche Rolle spielt, sowie das Land Niedersachsen in Person des Ministerpräsidenten Stephan Weil die Kommunikation nach außen. Was fatal an die Kommunikation von Opel erinnerte, als in der existentiellen Unternehmenskrise vor gut 6 Jahren der Vorstand aus der Öffentlichkeit verschwand und weitestgehend der Betriebsrat die Kommunikation in der Öffentlichkeit übernahm.

Mit dem Rücktritt Winterkorns gab es auch an der Spitze der Konzernkommunikation eine Änderung. Müller brachte ’seinen‘ Kommunikationschef Bode von Zuffenhausen mit nach Wolfsburg. Ab Ende Oktober, nach einer recht kurzen Einarbeitungszeit der neuen Spitze, schien man die Strategie zu ändern und auf eine funktionale Transparenz zu setzen, da eine offenere und proaktivere Kommunikation beobachtet werden konnte.

So machte Volkswagen Anfang November selbst öffentlich, dass es wohl auch Unregelmäßigkeiten bei den CO2-Angaben gab. Weiter wurde regelmäßiger über Maßnahmen und den Stand der Gespräche mit den ermittelnden Behörden in Deutschland und USA kommuniziert. Dennoch dauerte es noch bis zum 10.12.15 – also fast 3 Monate seit bekannt werden des Manipulationsvorwurfs – bis die Konzernspitze eine Pressekonferenz gab, bei der auch Fragen der nationalen und internationalen Presse live beantwortet wurden. Ebenso wurden TV-Interviews für ausgewählte Medien durchgeführt. Ein wichtiger Schritt, um langsam aus der akuten Krisenphase in die Nach-Krisenphase überzugehen.

Learnings aus den beiden Beispielen

Diese beiden Beispiele zeigen, wie unterschiedlich in Krisenfällen agiert wird. Das perfekte Krisenmanagement beruht auf einer guten und durchdachten Vorbereitung und der daraus resultierenden Kommunikationsstrategie. Eines habe ich aber aus meiner persönlichen, langjährigen Zusammenarbeit mit Unternehmen, internationalen Medien und Vorständen gelernt: Egal, welche Krise eintritt – sei es die Korruptionsaffäre bei Siemens, der Demerger Daimler und Chrysler oder auch der langjährige Untergang des KarstadtQuelle/Arcandor Konzerns – wichtig ist, dass sich die konzernverantwortlichen Personen in dieser Situation ihrer Rolle bewusst sind und kommunizieren. Medien und Menschen an der aktuellen Sachlage teilhaben zu lassen und mögliche Fehler einzuräumen. Dabei unterstützt von einem guten Kommunikationsteam, das integrativ alle Medien im Einklang bedient.

„Gesicht zeigen“ heißt dabei auch, unangenehmen Fragen in TV-Interviews nicht aus dem Weg gehen zu wollen (was menschlich ist), sondern seine Person und sein Wissen authentisch wiederzugeben und so dem Zuschauer ein bewusstes wie unbewusstes Bild über die Glaubwürdigkeit und damit über den weiteren Verlauf der Krise in Medien und Öffentlichkeit zu geben. Außerdem besteht nur dann die Möglichkeit, ein weiteres, wichtiges Element zu platzieren: Hoffnung, dass die Krise überwunden und die Probleme gelöst werden – ein wichtiger Faktor für alle Stakeholder und Shareholder.

Jörg Howe, der Kommunikationschef bei Arcandor war und jetzt bei der Daimler AG ist, fasste dies einmal in zwei Sätze zusammen: „In guten Zeiten kann Inhalt und Zeitpunkt von Kommunikation gewählt werden. In schlechten Zeiten muss so viel kommuniziert werden wie möglich, und dabei ist der Vorstand die wichtigste Person, die Flagge zeigen muss.“

Damit dies möglich ist gilt, wie oben mehrfach erwähnt, eine gute Vorbereitung mit klaren Richtlinien und Infrastruktur. Und es ist manchmal besser zu sagen: „Ich weiß es aktuell nicht, werde die Information aber nachreichen“, als sich in einer Wagenburgmentalität zu verbarrikadieren. Agieren statt reagieren ist somit das A und O einer guten Krisenkommunikation.

Vera Heck, ComSat MediaÜber die Autorin: Vera Heck ist seit 2002 in leitender Funktion bei der Bewegtbild-PR Agentur ComSat Media/Heusenstamm in leitender Funktion tätig. Vorher war sie bei der SATCOM satellite communciation als TV-Producerin angestellt. Als Freelancerin arbeitete Sie in den 1990er Jahren für diverse TV-Sender und Eventagenturen.  Nach diversen Weiterbildungen in den Fachrichtungen BWL, Marketing und PR hat sie 2012 das Studium zur „PR und Integrierten Kommunikation“ mit dem Master abgeschlossen.

In ihrer langjährigen Tätigkeit bei der ComSat Media, arbeitet Vera Heck hauptsächlich mit diverse DAX-Unternehmen sowie ihren Vorstandsvorsitzenden zusammen. Dies reicht von der weltweiten Themenvermarktung und Projektierung bis zur Koordination und Vorstands-Betreuung von (Live-) Interviews, mit nationalen und internationalen TV-Sendern und Onlinemedien. Als Executive Director ist sie zudem für die strategische Ausrichtung der Agentur und  dem Business Development verantwortlich.

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